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Gymnasium Bamberg

Ghost Story mit Tiefgang

Dass Literatur spannend und anspruchsvoll zugleich sein kann, stellte die englische Autorin Sally Nicholls im Rahmen des White Ravens Festival der Internationalen Jugendbibliothek Blutenburg bei ihrem Besuch am E.T.A. unter Beweis. Wieder einmal war es unserer Schule gelungen, eine Lesung bei diesem einzigartigen Festival zu ergattern – und mit Sally Nicholls kam wirklich ein literarisches Schwergewicht: Nicht ohne Grund wurde das Buch „Close your pretty eyes“, aus dem sie las, in 18 Sprachen übersetzt. Am E.T.A. las sie aus dem Original auf Englisch, im Deutschen ist das Werk unter dem Titel „Wünsche sind für Versager“ erhältlich, übersetzt von Beate Schäfer, die als Moderatorin die Lesung begleitete. Und trotz der hochsommerlichen Temperaturen am Nachmittag schafften es die beiden, die drei neunten Klassen, die zur Lesung gekommen waren, in das Buch geradezu hineinzuziehen – und das, obwohl, oder vielleicht gerade weil die Lesung auf englischer Sprache gehalten wurde. Noch dazu trat die junge Sally Nicholls so unbekümmert und offen vor die Schüler, dass keinerlei Berührungsängste aufkamen.
Das Buch „Close your pretty eyes” handelt von der elfjährigen Olivia, die wegen ihrer Widerborstigkeit von einer Pflegefamilie in die nächste weiter gereicht wird. Dort provoziert sie durch ihr Verhalten und ihre Unzugänglichkeit den Widerstand der Familie geradezu, um sich in ihrer Selbstsicht bestätigt zu sehen: „I think I might be a witch.“ Was nur selten durchscheint, ist die verletzliche Olivia, die sich nach ihrer Mutter sehnt. Insofern braucht der Leser etwas Zeit, um hinter der nahezu unsympathischen Protagonistin die eigentliche Olivia zu entdecken. Auch kann man sich nicht immer sicher sein, ob das, was Olivia erzählt, auch wirklich die Wahrheit ist – sie wird dadurch zu einem „unzuverlässigen Erzähler“ („unreliable narrator“), was dem Buch einen besonderen Reiz verleiht. Dies wurde auch in dem moderierenden Gespräch zwischen Frau Schäfer und Sally Nicholls deutlich. Schließlich gelangt das Mädchen aber in eine Familie, in der sie in ihrer Eigenart respektvoll aufgenommen wird, doch nun kommt ein zweiter Aspekt in die Geschichte: Sie vermutet in dem Haus der Familie den Geist einer Kindermörderin aus der viktorianischen Zeit. Warum gerade eine Geistergeschichte? Sally Nicholls erklärt, dass das Unwirkliche der Geistergeschichte einen guten Spiegel zu der Unfähigkeit Olivias, mit ihrer Realität zurecht zu kommen, darstellt. Wie die Geschichte ausgeht, wurde noch nicht verraten, aber es wurde klar, dass das Ende nicht (wie leider oft in Jugendbüchern der Fall) eine einfache Lösung vorsieht. Was deutlich wurde, war allerdings, dass die Schüler angetan waren von der Geschichte, verstärkt durch eine beeindruckende Lesung der Autorin. Besonders als Sally Nicholls mit leiser, aber eindrücklicher Stimme die (imaginierte?) Begegnung des Mädchens mit dem Geist vorlas, konnte man eine Stecknadel fallen hören. Im Anschluss warteten die Schüler mit einer Vielzahl von Fragen, die bereitwillig von Sally Nicholls beantwortet wurden, wobei deutlich wurde, wie sehr sie sich tatsächlich mit der Konzeption und Komposition ihrer Bücher beschäftigt. Auch hier wurde die Konversation natürlich auf Englisch geführt.
Ehrlicher Applaus beendete eine besondere Lesung. Besonderer Dank gilt natürlich Sally Nicholls, die den weiten Weg nach Bamberg gemeinsam mit ihrem gerade mal drei Monate alten Baby auf sich genommen hat, aber auch Beate Schäfer, die die Organisation, Planung und Moderation übernommen hat, sowie auch dem White Ravens Festival, durch das wir (bereits das zweite Mal!) in den Genuss wirklich hochkarätig internationaler Lesungen im Jugendbuchbereich kommen.


Text und Bilder: M.Stübinger