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Gymnasium Bamberg

Der Sandmann

{tab Programm}

Vor 50 Jahren wurde das ehemals „Deutsche Gymnasium“ am Stephansberg in "E.T.A. Hoffmann-Gymnasium" umbenannt. Aus diesem Anlass finden im laufenden Schuljahr mehrere Veranstaltungen zu Ehren unseres Namensgebers statt. Den Beginn macht das P-Seminar „Vorhang auf“ der Q12, das am 15. und 16. Januar in der Unteren Turnhalle E.T.A. Hoffmanns „Der Sandmann“ aufführt.
Der Student Nathanael glaubt zu wissen, dass es hinter der Realität eine dämonische Kraft gibt, die auf sein Inneres einwirkt, ohne dass er darauf einen Einfluss hätte. Angestoßen wird diese Vorstellung vom Besuch des Wetterglashändlers Coppola, in dem er den Advokaten Coppelius wiederzuerkennen glaubt – den Mann, den er für den Tod seines Vaters verantwortlich macht. Damals nämlich hat Nathanael mitbekommen, wie der Vater bei Versuchen mit dem „Sandmann“, mit dem der kleine Junge den furchteinflößenden Coppelius gleich setzte, gestorben ist.
Trotz der Versuche seiner Verlobten Clara und deren Bruder Lothar, Nathanael davon zu überzeugen, dass diese dämonische Welt nur Einbildung sei, verfließen bei diesem immer mehr die Grenzen zwischen Realität und Fantasie – er kann seinen Augen nicht mehr trauen. Ein von Coppola erstandenes Perspektiv scheint ihm Klarheit zu verschaffen, denn mit seiner Hilfe glaubt er in Olimpia, einem von Professor Spalanzani entworfenen Automatenmenschen, endlich ein ihm seelenverwandtes Wesen gefunden zu haben. Als er aber die Wahrheit über sie erkennt, ist er endgültig nicht mehr Herr seiner Sinne.

{tab Bilder}

Bilder von der Generalprobe

Hanna Christa

Plakat und Fotos (Generalprobe): Hanna Christa

Bilder von der Premiere

Hanna Christa

Bilder von der Premiere

Christian Schreiner

 

{tab Flyer}

Programmheft

zum Download (PDF)

{tab Kritik}

“Is this the real life, is this just fantasy
Caught in a landside, no escape from reality
Open your eyes, look up to the skies and see”
Queen- Bohemian Rhapsody

Ist all dies wirklich? Ist es nur Phantasie? Ist der Protagonist, Student Nathanael, gefangen in der Realität? Und in welcher?
Mit dem Zitat dieser bekannten Liedzeile aus Queens Bohemian Rhapsody wird das Publikum gleich zu Beginn der Inszenierung von E.T.A Hoffmanns  „Der Sandmann“ durch das P-Seminar „Vorhang auf“ auf die Frage nach Sein und Schein, nach Verschmelzung von Normalität und Fantasie aufmerksam gemacht und wird in den nächsten 1 ½ Stunden gebannt der Frage nachgehen, ob der Student Nathanael seinen Augen trauen darf und seine Begegnungen mit dem „Sandmann“ in den Raum der traumatisierten Kindheitsfantasien oder der Realität einzuordnen ist.
Leicht wird dem Publikum die Beantwortung dieser Frage nicht gemacht, denn es gelingt den 21 Schülern des P-Seminars von Martin Stübinger in scheinbar faszinierender Leichtigkeit genau diese Grenzen zwischen Fantasie und Wirklichkeit aufzuweichen. Umwoben von zunächst bekannten Motiven des Sandmann-Liedes und der leitmotivischen Darlegung von Bohemian Rhapsody wird die Geschichte von Nathanael durchgehend in stimmungsvolle, mystisch untermalte, geheimnisvolle Klänge verwoben. Veronika Firsching, Alexander Köpf, Svenja Kroemer und Philipp Roppelt verstehen es der dunkel-romantischen Welt von Nathanael ihren eigenen melancholisch-unheimlichen Ton zu verleihen.
Und der scheint auch angeraten, denn gleich zu Beginn begegnet uns Nathanael aufgewühlt in seiner kleinen Studentenbühne herumschreitend, während er noch einmal einen Brief an seine Familie, seine Verlobte Klara sowie deren Bruder Lothar, durchliest, in welchem er ihnen (geschickt mittels einer Stimmeinspielung aus dem Off) von seiner sonderbaren Begegnung mit dem Wetterglashändler Coppola berichtet. Daniel Bömly, der den Nathanael in seinem zunehmenden Wahnsinn scheinbar mühelos zu steigern versteht, gelingt es bereits in dieser ersten Szene den inneren Aufruhr des emotionalen Studenten mit allen Facetten der Bühnenkunst zu verkörpern.
Und es dauerte auch nicht lange, da kann Zuschauer seine Aufregung nachvollziehen – als eben benannter Wetterglashändler Coppola , herausragend gespielt von Julia Artes, mit markerschütterndem Lachen das kleine Studentenzimmer betritt, um auf überteuerte Weise seine Waren anzupreisen. Der in tiefschwarz gekleidete Händler scheint nicht nur wegen seiner undurchdringlichen schwarzen Sonnenbrille und den unter dem schwarzen Hut hervorstechenden langen schwarzen Haaren ein Leibhaftiger zu sein. Nein, auch sein ganzes Auftreten, seine gebückte Haltung, seine energisch-zielstrebige Vereinnahmung von Raum und Geist des Studenten gelingen Julia Artes in scheinbar teuflischer Leichtigkeit.
In der folgenden Retroperspektive erfährt man das Trauma, das durch diese Begegnung in Erinnerung gerufen wird (und das sich bereits im von Hanna Christa klar gestalteten Plakat - ein starres Auge umwoben von Feuer - niederschlug). Vanessa Then verkörpert den verängstigten, in sich zusammengekauerten Sohn Nathanael, der im Schlafanzug an der Seite der streng gekleideten Mutter nervös auf die Ankunft des Advokaten Coppelius wartet. Die korrekte, um Haltung bemühte Mutter (präzise gestaltet von Julia Amann) versucht die alchemistischen Versuche von Gast und Vater vor dem Sohn geheim zu halten. So schickt sie ihn, sobald es klingelt und Advokat Coppelius vor der Tür steht, mit der Androhung, der Sandmann käme und würde ihm die Augen stehlen, solle er noch wach sein, ins Bett. Julia Amann vermag es als Mutter zielsicher, ihre Hilflosigkeit gegenüber den verbotenen alchemistischen Versuchen ihres Mannes herauszustellen und bereits Zweifel an der Erzählung vom „Sandmann“ aufkommen zu lassen – handelt es sich wirklich um eine reine Fantasie?
Dass der Advokat Coppelius eine äußerst zwiespältige Figur ist, der den Vater zu diesen Versuchen zwingt, entnimmt man nicht nur der Mimik von Philipp Roppelt. Dessen ganze Gestik zeugt von der panischen Unterwerfung unter den nicht weniger boshaft lachenden und ebenso grausamen Advokaten Coppelius.  Julia Artes vermag es, die herrische Natur in ihrer Doppelbesetzung beizubehalten und doch Nuancierungen in ihren Rollen zu schaffen
Und so geschieht, was sich zum Trauma von Nathanael entwickelt. Umrahmt von dramatischer Musik lassen der Vater und Coppelius die Alchemie vergangener Zeiten wieder aufleben (die sichere Lichtregie unterliegt Max Betz, Jonas Trusen). Eine gekonnt in Szene gesetzte Videoeinspielung lässt das Ziel der Experimente erkennen – Advokat Coppelius hat es auf die Erschaffung von Augen abgesehen. Das Ungemach nimmt seinen Lauf- Blitze, Licht, Dämpfe, Feuer – ein Knall, das Experiment schlägt fehl (und das ist nicht den Künsten unseres Physiklehrers Herrn Hahn zu verdanken, der hier sein technisches Know-How einfließen ließ), der Vater stürzt tot zu Boden, Nathanael traumatisiert aus der Ecke – als er erkennt, dass seinem Vater von Coppelius die Augen geraubt wurden. Doch der „Sandmann“ ist bereits verschwunden und im Raum bleibt neben der glaubhaften Verzweiflung von Mutter und Kind nur der Nachklang des höhnischen Lachens zurück.  
Ein Lachen, das wieder überleitet ins Studierzimmer Nathanaels. Denn dort ist erneut Wetterglashändler Coppola erschienen, um nun nach dem vorzeitigen Rauswurf während der letzten Begegnung sein Geschäft zu Ende zu führen, verkauft er Nathanel, der ihn schnellstmöglich loswerden will, nun überteuert  ein modernes Wetterglas – in Form einer Filmkamera.
Wie erholt man sich von solchen Erinnerungen? Im liebevollen familiären Umfeld, versteht sich. Doch ob dieses wirklich so liebevoll ist, wie es bei E.T.A. Hoffmann den Anschein hat, stellt die umgebaute Szenerie gleich zu Beginn deutlich in Frage. Der familiäre Raum, nüchtern abgesteckt von einem meterhohen Bauzaun – in dessen viereckiger Idylle sich die Genesung Nathanaels abspielt. (Die Bühnenbildnerinnen Alexandra Zwosta und Veronika Firsching stellen hier ihr klares Bühnenkonzept sicher zur Schau.) Seine Verlobte Klara und deren Bruder Lothar kümmern sich sorgenvoll – aber geht es ihnen dabei wirklich um Nathanels seelische Gesundung oder letztlich doch eher um die Wiederherstellung der Konvention? Pia Gsänger gestaltet äußerst gelungen eine mit Strickzeug ausgestattete, liebevoll-nüchtern bemühte Verlobte, deren Zuwendung vor allem darin besteht, die zerzauste Frisur Nathanaels wieder in Ordnung zu bringen – eine Tätigkeit, die sie mit spielerischer Leichtigkeit auch auf die Kleidung ihres Nathanaels übertragt, und dass sie ihm wie einem Kind zuletzt mit Spucke Spuren aus dem Gesicht wischt, erscheint nur konsequent. Dass ihre liebevolle Umklammerung dabei stellenweise wie ein Würgegriff wirkt, zeugt von der herausragenden Zur-Schau-Stellung der bürgerlichen Fassade, die Nathanaels Freigeist Raum und Luft zum Leben nimmt.
Für kalte Gemüter gibt es keinen Platz für „Geheimnisvolles“.  Auch wenn Jasmin Burg als Bruder Lothar einen Moment lang – in der Tiefe des bürgerlichen Bunkers andeutet, dass es womöglich doch Tiefen und Nebulöses in der menschlichen Seele gibt, indem sie als Mann nach Lippenstift und Spiegel greift. Für Momente glaubhaft versunken in diese andere mögliche Welt kehrt Jasmin Burg als Lothar aber radikal zurück in die Realität – weg von den „Phantomen unseres eigenen Ichs“, weg von „seltsamen Narrheit[en]“.
Und weg aus dieser bedrückenden, heilen heimatlichen Welt kehrt sich das Stück den entscheidenden Ereignissen zu. Zurückgekehrt in sein Studentenleben gibt sich Nathanael zum Entsetzen seines Studienfreundes Siegmund seinen Schwärmerei für die Tochter seines Professors Spalanzani hin, die er zunehmend euphorisch und glaubhaft verliebt mit dem Perspektiv am Fenster ihres Vaters beobachtet -verwundert nur ob ihrer zunächst leer scheinenden Augen, die aber zunehmend Wärme und Feuer ausstrahlten. Sein Freund Siegmund zeigt sich bezüglich dieser Verliebtheit zunehmend skeptisch. Carl Gollnast rückt den rational verwurzelten, aber stets loyalen Freund stringent und präzise ins rechte Licht. Man spürt förmlich die Korrektheit dieser Figur.
Als nun Professor Spalanzani zum Ball einlädt, um seine Tochter zu präsentieren, nimmt man Sophia Lamprecht die Rolle des verrückten, greisen Wissenschaftlers nicht nur ob ihrer Mähne, aus der der Puder noch staubt, ab. Stotternd, mit stolz geschwellter Haltung führt sie die Tochter Olimpia in die Abendgesellschaft ein. Manuela Müller muss die schwierige Mischung der angelegten Menschlichkeit in einer Maschine „verwirklichen“ und schafft dies mit Bravour. Leicht hinkend und hölzern abgehackt in ihren Bewegungen betritt die in ein silbernes Cocktailkleid gehüllte, bezaubernd anzuschauende Tochter steif den Ballsaal und bettet sich auf umständliche Weise auf eine Art Thron in die Mitte des Raumes. Nathanael, der diese Erscheinung schon fast debil verliebt bestaunt, startet eine recht einseitige Konversation, die Manuela Müller als Wunderwerk Olimpia konsequent mit einem stockenden „Ach! Ach! Ach!“ (besonders noch hervorgehoben durch die musikalische Untermalung des Cellos) – bereichert. Die wirklich bewundernswerte Umsetzung der Begegnung kulminiert in einem Tanz der besonderen Art der beiden Protagonisten, der die Vereinigung von Mensch und Maschine in den Raum stellt und ad absurdum führt. Als Zuschauer staunt man über die gelungene (und kräftezehrende) Mischung dieses sinnlich-grotesken Tanzes.
Und jetzt geht alles ganz schnell. Spalanzani entwindet seine Tochter, deren Mechanismus zu hängen beginnt, dem Verliebten und beinahe noch im gleichen Moment beginnt der Kampf des Professors mit Coppola, als diese zwei aus der Seitentür stürzen und sich um die Reste der Puppe Olimpia streiten. Coppola fordert seinen Beitrag am Wunderwerk, die Augen zurück. Nathanael, Zeuge des Geschehens verfällt dem Wahn.
Sein Freund Siegmund führt ihn zur erneuten Genesung zurück in den Kreis der Familie und es scheint sich alles zum Guten zu wenden, zumal die Nachricht einer Erbschaft – gelungen ironisiert durch Klara - die finanzielle Zukunft absichert. Doch ist es diese zunehmende Einengung? Der Albtraum vom zukünftigen Glück oder die Frage Klaras, die in Olimpia-Pose mit einem „Ach! Ach! Ach!“ unterlegte wird: „Und das bedeutet?“, die den glaubhaft verkörperten Wahn Nahtanaels wieder hervorruft? Was ist hier Realität? Was Einbildung? Was führt zum Mordversuch an Klara, den Lothar nur knapp verhindern kann?
Klar kann sich der Zuschauer nach diesem aufwühlenden Theaterabend darüber letztlich nicht werden – denn äußerst gelungen wurde das Spiel zwischen den Grenzen der Realität und dem Beginn von Fantasiewelten bzw. Wahn gespielt und gelungen von hilfreichen Händen im Hintergrund umwoben. Hanna Christa und Greta Rupert sorgten für eine gelungene Ausstattung mit Kostümen, die Maske unter Vanessa Then und Amelie Uhlig sorgte für die entsprechende Nuancierung der Figurenzeichnung. Die Verantwortung für die Finanzen und den gut organisierten Pausenverkauf hatten Johannes Weigler und Dominik Petermann inne.
Um zuletzt nicht ganz der dunklen Grenzerfahrung verhaftet zu bleiben, erfährt man nach dem tragischen Selbstmord Nathanaels zumindest noch, dass sich für Klara alles zum Guten wendet – wenn sie von spielenden Kindern umringt, mechanisch strickend ihren klaren – leeren? – Blick in die Zuschauer fallen lässt. “Is this the real life, is this just fantasy?“ – Ach! Ach! Ach!

Anja Kießling

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