ETA Logo 100  E.T.A. Hoffmann-Gymnasium Bamberg
ETA Logo 100 E.T.A. Hoffmann-
Gymnasium Bamberg

Reich und schön

{tab Programm}

X steht auf der Brücke und will hinunterspringen. X, das steht für alles, was nicht sein darf: die Einsamkeit, die Wut, das Besäufnis, das Unsichtbare. X ist weder reich noch schön. Wie es einem solchen X ergeht, zeigt dieses Stück bis zum bitteren Ende. Oder wäre es ein Wunder, wenn das gar nicht das Ende wäre?

Bericht und Fotos: Anja Kiesling

{tab Bilder}

Bericht und Fotos: Anja Kiesling

 

{tab Flyer}

(Programmheft im PDF-Format zum Download)

 

{tab Kritik} 

„Feeling beautiful has nothing to do with what you look like“
(Emma Watson, britische Schauspielerin, geboren 1990)

 

Die Theatergruppe der Unter- und Mittelstufe regt mit Eva Vieths „Reich und schön“ teils ironisch, teils tragikomisch, aber auch schockierend zum Nachdenken an.

Es ist dunkel. Schwarz gekleidet postuliert ein düsterer Chor, gleich dem griechisch-antiken Drama, insistierend-monoton das Thema des Abends: „Du bist nicht reich, du bist nicht schön, was willst du hier?“. Es geht um Ausgrenzung, Oberflächlichkeit, Kampf um Anerkennung und Geltung, die alltägliche Missachtung und Abwertung, die Menschen zerstören kann.

Der Auftakt des Theaterstücks unterstützt das Düstere des Stoffs: Ein Jugendlicher steht am Abgrund, ist verzweifelt, will in den Tod springen. Wer er ist, bleibt zunächst unklar, genannt wird er „X“, eindringlich und bedrückend verkörpert von Emil Scheibke, und warum er diese Verzweiflungstat begehen will, wird (noch) nicht thematisiert. Erst als sich ein recht naiver Engel, der die Welt in rosaroten Farben sieht, authentisch und die Rolle gekonnt karikierend von Alicia Weithase gespielt, mit dem gewieften und bauernschlauen Teufel, intensiv und herrlich teuflisch von Nina Röder interpretiert, in einem Ethik-Wettstreit um den Sinn des Daseins befindet, werden die Probleme des Jungen nach und nach enthüllt.

Erzählt wird nunmehr die Lebenssituation einiger Heranwachsender, deren Lebensweg offensichtlich schon im Kindergarten vorgezeichnet wurde. Die Rollen sind schon hier verteilt. Auf der einen Seite die finanziell gut gestellten, verwöhnten Kindergarten-kinder aus der gehobenen Mittelschicht, die sich ihrer Position wahrlich schon bewusst sind, auf der anderen Seite die Ausgegrenzten, die nicht so ganz dazugehören, weil sie anders aussehen, zurückhaltender sind, sich nicht in den Mittelpunkt stellen, nicht dauernd ihre Ellenbogen zum Einsatz bringen. Dies wird, der Zeitsprung macht es möglich, in der Oberstufe eines Gymnasiums noch deutlicher.

Wir sehen eine typische Gruppe – gibt es hier das „Typische“ überhaupt? – Jugendlicher, die ihren Lebensweg suchen, teilweise aufmüpfig, aber auch schüchtern, teilweise leistungsorientiert, manchmal pubertär mit dem anderen Geschlecht beschäftigt, oder „nur“ auf Sport konzentriert, ohne sich wirklich für die Mitschüler oder „das Leben“ zu interessieren. Da sind sie also, Maria Kroack überzeugend als die zickige Stella, die es ihrem sportlichen Freund, selbstverliebt, aber auch selbstmitleidig auf die Bühne gebracht von Luca Heinl, immer nur recht machen will. Da ist Zicke Nummer zwei namens Carmen, deren Hang zu reichen Männern wohl mit der Lektüre diverser Hochglanzblätter erklärt werden kann, die von Henrike Plötner erschreckend echt dargestellt wird – wie im richtigen Leben eben.
Zicken gibt es in diesem Stück recht viele, aber eine besondere Stellung nimmt sicherlich das vermeintliche Fotomodell Cindy ein, hochnäsig, andere kommandierend und bestimmend und sehr nachvollziehbar und äußerst anschaulich realisiert von Carlotta Röll und ihrer Handtasche. Besonders schlau scheint diese Cindy aber nicht zu sein, lässt sie sich doch von Jewgenij Maximtschuk, der wild gestikulierend, die Umwelt anschleimend den Fotografen darstellt, an der Nase herumführen, der ihr mit Hilfe seiner unterwürfigen und willfährigen Assistentin, Luisa Nastvogel, die wandlungsfähig später noch als Verkäuferin auftreten wird, 1000 Euro für ein Foto-Shooting aus der Tasche zieht. Interessanter allerdings ist Cindys scheinheilige, verlogene und wohl seit Kindergartentagen existierende „Freundschaft“ zu Rita, die im Programm abwertend als Schleppenträgerin bezeichnet wird. Leider dient sie ihrer Umgebung auch als solcher, sind es doch die Damen gewohnt, die  unsichere, aber immer freundliche Mitschülerin (glaubhaft und immer in der Rolle bleibend von Fenja Amon gegeben), die sich in die Clique nur mit ihrem guten finanziellen Hintergrund einkaufen kann, auszunutzen.

Aber kommen wir zurück zum Unterricht. Hier kann man sich über Situationskomik freuen, wird das Theaterstück doch in einer Seminarschule aufgeführt. Da überzeugt dann gänzlich der von Dominik Rögner mit sonorer Stimme agierende, recht gemütliche, aber auch äußerst konservative Deutschlehrer, der zumindest in den vielen Jahren seiner Arbeit gelernt hat, Arbeit zu delegieren. Und das macht er dann auch. Lisa Jakobi verkörpert – sowohl in ihrem Kostüm wie auch in ihrer sinnvoll überzeichneten Realisierung der Figur – eine Studienreferendarin, wie sie im Buche steht. Sie will dauernd motivieren, motivieren, motivieren. Da gibt es dann Gruppenarbeit, Stationenlernen und Vorträge vor der Klasse, die dann wider Erwarten gar nicht so begeistert ist von den modernen Methoden der Junglehrerin. An der wird es aber eher weniger liegen, sondern an der psychologischen Verfassung einzelner Mitglieder des Kurses, die teilweise schon vorgestellt wurden. Da ist noch der gechillte, am Lernen wahrlich nicht interessierte, im Unterricht saufende Jamal, den Leopold Keller gekonnt und sensibel mit allen vorhandenen Klischees über gescheiterte Jugendliche ausstattet. Da ist der zurückhaltende, interessierte, äußerst gesellschaftskritische Markus, der wohl auch etwas zu viel Che Guevara inhaliert hat, was Emilia Dering in einer Hosenrolle gut zum Ausdruck bringt. Sicher erheitert uns der dicke „BigMac“, wie er spöttisch, vielleicht manchmal aber sogar liebevoll von seinen Klassenkameraden und den Mädels genannt wird, den Emilio Adjei dauernd essend, mit einem selbstbewussten Lächeln dem Publikum vorstellt, damit aber auch die Tragik der Figur eindringlich zum Ausdruck bringt: Auch sie will Anerkennung durch die Gemeinschaft, auch wenn sie nicht dem vermeintlichen  Ideal entspricht. Wegen BigMac streitet sich dann der junge, von Marian Pscherer cool und ambitioniert dargestellte Sportlehrer mit dem schon beschriebenen Deutschlehrer. Dieser bevorzugt in der Klasse eher die von Laura Grimm gespielte schüchterne, aber schlaue Anna, die nur durch ihr Wissen für sich eine gewisse Existenzberechtigung sieht, aber auch die äußerst kluge, jedoch ebenso ängstliche Sophia, die – von Vivien Leß wahrhaftig und echt charakterisiert – einfach nur unsichtbar werden möchte, um sich nicht mehr den Widrigkeiten des Lebens aussetzen zu müssen. Schlimm, wenn solches Denken schon in so jungen Jahren eine Rolle spielt. Da mag die neue Schülerin dann für viele Mauerblümchen ein Lichtblick sein. Von der Waldorfschule kommend, somit von Anfang an von allen Seiten großen Vorurteilen ausgesetzt, gleichwohl sie selbstironisch zugibt, ihren Namen tanzen zu können, brilliert Catharina Döring die Rolle voll und ganz ausfüllend, den Charakter der Figur in allen Facetten mit einer hohen Bühnenpräsenz beschreibend, als Cordula, die durch ihr Selbstbewusstsein, ihr Können und Wissen, aber auch durch ihre Ehrlichkeit so manch unterdrückter Seele in der Klasse wieder neuen Lebensmut schenkt – gleichwohl ist dem Zuschauer sehr wohl bewusst, dass auch sie nur geliebt werden möchte. Das Leben wird den Schülerinnen und Schülern in diesem Gymnasium sicher auch nicht leichter gemacht, wenn sie mit der Putzfrau in Kontakt kommen, die Emilia Dering herrisch, laut und dominant interpretiert.

Letztendlich geht es in dem Stück aber um den eingangs erwähnten „X“, der jeder (junge) Mensch sein könnte, denn jeder Mensch trägt ein kleines „x“ in sich. Unser „X“ wurde von Klassenkameraden gedemütigt, er durfte nicht dabei sein. Teilweise plakativ, größtenteils einfühlsam, aber immer nachvollziehbar zeigt diese Geschichte, wie jede(r) Schüler(in) mit seiner Geschichte zurechtkommen muss. Alle Jugendlichen gehen ihrem altersspezifischen Alltag mit Lernen, Sport, Shoppen und Partys nach. Es bildet sich eine Dynamik heraus, die „X“, von den anderen unbemerkt, in den Selbstmord treibt. Und da alle dieses kleine „x“ in sich tragen, springen am Ende des Stücks alle in den Abgrund.

Stopp. Halt! So soll und darf das Drama nicht enden. Der Zuschauer in unserer heilen Welt harrt auf ein Happy End. Und genau dies fordert im Publikum sitzend laut ausrufend „Die Tüte“, konzentriert und konsequent während des ganzen Stückes in der ersten Reihe knisternd und störend seine Chips essend, dachte der Rezensent während der ganzen Aufführung, was denn heute mit Vincent Morcinek los sei. Aber es war eben das konsequente Ausfüllen der Rolle des Gastes, der einen gemütlichen Abend im Theater verbringen wollte. Wären wir daheim vor der Glotze, hätte noch die Flasche Bier gefehlt.

Und so kommt es dann auch. Alle „Bösen“ entschuldigen sich, die „Guten“ fallen sich in die Arme, die Liebenden finden wieder zueinander, die Schulversager erhalten doch noch eine Chance. Man mag an Dreigroschenhefte denken, was auch legitim ist, aber auf erschreckende Weise wird somit das verdeutlicht, was wir täglich im Kleinen und im Großen erleben: Unser aller Wegsehen, wenn es ums Hingucken und Aufschreien wider die Ungerechtigkeit gehen sollte, unser beseeltes Hinsehen, wenn uns eine heile Welt vorgegaukelt wird.

Anja Kießling hat sich mit ihrer ersten Inszenierung am E.T.A. Hoffmann-Gymnasium keinen leichten Stoff vorgenommen, zumal das Theaterstück ursprünglich für eine Oberstufentheaterbühne verfasst worden war. Aber sie ist diese Herausforderung angegangen und es hat sich gelohnt. Chapeau! Unterstützt wurde nicht nur sie, sondern die gesamte Truppe von den helfenden Händen von Svenja Kroemer, Julia Artes, Amelie Uhlig und Veronika Firsching als Visagistinnen, von Nicola Voit, die gemeinsam mit der Regisseurin die Verantwortung für Kostüme und Requisiten übernommen hatte, aber auch von Luisa Nastvogel als Souffleuse, die über manche „Hänger“ unbemerkt vom Publikum hinweghelfen konnte. Aber was wäre eine Theateraufführung ohne die Techniker: Wir alle säßen im Dunkeln und würden nichts hören. So sei dem wie gewohnt zuverlässigen Technikteam mit Simeon Heimburg, Lennard Römmelt, Lars Wunderlich, Philipp Korn, Paul Wunner und Rico Rosenbusch für ihr Engagement und ihren Einsatz einmal wieder herzlich gedankt.

Wolfgang Metzner

{/tabs}