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Gymnasium Bamberg

Orpheus

{tab Das Stück} 

Die Geschichte vom tragischen Helden Orpheus, der in den Hades steigt, um seine geliebte Frau Eurydike zu retten, gehört zu den traurigsten der Literatur. Weil Orpheus bei ihrer Rettung versagt, muss Eurydike weiter im Totenreich bleiben und er getrennt von ihr weiterleben.

Ausgehend vom Kern dieser Liebesgeschichte entwickeln sich Szenen, in denen Beziehungen geprägt sind von Einsamkeit, Hilflosigkeit, Frust und Missverständnissen. Szenen, in denen man sich selten sicher ist, ob sie noch auf Erden oder schon in der Unterwelt spielen.

(Bericht: C. Morcinek, Fotos: Hanna Christa)

{tab Kritk} 

Die Kritik zur Aufführung

„Liebe, das wär’s!“
Die Mittelstufenbühne begeistert mit „Orpheus. Szenen aus dem Hades“ bei den Bamberger Schultheatertagen
Noch gehört die griechische Mythologie zum Kanon eines Gymnasiums, an dem Latein unterrichtet wird, und so dürfte die Geschichte um Orpheus und Eurydike vielen der Zuschauer im gut gefüllten E.T.A. Hoffmann-Theater bekannt gewesen sein, als die Darsteller der Mittelstufen-Theatergruppe die Bühne betraten, um im Rahmen der Bamberger Schultheatertage Hansjörg Schneiders Stück „Orpheus. Szenen aus dem Hades“ aufzuführen. Wie viele Facetten die Handlung um den Sänger und Dichter aus Thrakien aber aufweisen kann, das veranschaulichten die Schauspieler unter der Leitung von Tina Morcinek in modernen, zeitweise bewusst verstörenden, aber extrem beeindruckenden Szenen der Aufführung.
Dabei bleibt die Ausgangsgeschichte immer erkennbar: Orpheus, dessen Frau Eurydike nach Aristaios‘  Vergewaltigungsversuch durch einen Schlangenbiss stirbt, erwirkt durch sein Lyraspiel beim Gott der Unterwelt, Hades, eine Rückgabe Eurydikes – unter der Bedingung, dass er sich auf dem Weg aus der Unterwelt nicht nach ihr umdrehen darf. Bekannterweise gelingt ihm das jedoch nicht, und seine Gattin verschwindet auf ewig.
Und nicht nur wegen dieser Schwäche kommt Orpheus in diesem Stück nicht immer gut weg. Gleich zu Beginn traut man ihm nicht, als David Hamann als „Gigolo-Orpheus“ extrem selbstbewusst von sich behauptet, er sei der sanfteste, wildeste, zarteste und geliebteste Mann – kurz, alles ist im Schwung, Orpheus hat alles unter Kontrolle. David Hamann gelingt hier (mit Unterstützung der „Orpheus Boys“ – ist nicht jeder Mann ein derart erfolgreicher Orpheus?) eine sehr überzeugende Darstellung zwischen Selbstbewusstsein und Arroganz, die im Stück noch mehrmals auf den Prüfstand gestellt werden wird.
Doch schon in der nächsten Szene vergeht die gute Stimmung. Eurydike, von Kim Keller bis zum Ende sehr konzentriert und in einem guten Wechsel zwischen Lebenslust und Nachdenklichkeit verkörpert, betritt die Unterwelt – eine Tiefgarage. Dort bestimmen die Wärter, in ihrer Grobheit und Verständnislosigkeit grob und kaltherzig gespielt von Lasse Knipping und Richard Güttler, später auch ebenso von David Turnwald und Jonathan Mücke. Sie vergewaltigen und töten Eurydike, verwischen aber sogleich die Spuren. Eurydike, die vorher noch begeistert ausgerufen hatte „Die Natur ist eine Frau“, wird in die Unterwelt geschleppt, und Orpheus muss sich auf die Suche machen (witzige Idee: zunächst fragt er bei Twitter nach ihr!).
„Warum Orpheus?“, fragt da berechtigterweise ein Mädchen in einem engagiert und sehr überzeugend von Rebecca Scheibke dargebotenen Monolog, „Warum nicht Eurydike?“ die nur zum Schönsein und Sterben da sei. Damit wird einer der Grundkonflikte des Stückes angesprochen, der Gegensatz zwischen der weiblichen Dynamik und dem männlichen Machtwillen und der „Ordnung“.
In einer Parallelszene zur Orpheus-Geschichte wird der Rettungsversuch bereits vergeblich unternommen, obwohl Philipp Korn als Mann sehr überzeugend verzweifelt emotional argumentiert, um seine eingesperrte Freundin frei zu bekommen. Jonathan Mücke als Wärter bleibt bewundernswert stoisch und beruft sich immer wieder auf die Ordnung, die eingehalten werden müsse. Später lässt sich derselbe Schauspieler ebenso nur schwer aus der Ruhe bringen, als seine Frau den „Wolf“ in ihm wecken will, ihn zu unkontrolliertem Verhalten, zum Ausbruch und zum Akzeptieren seiner unterdrückten Gefühlswelt ermutigt. Johanna Neef zieht hier alle Register, versucht zu verführen und setzt ihn beklemmend körperlich unter Druck – eine Paradeszene! Sie schafft es sogar, ihn kurz hinter seinem Schutzschild hervor zu bekommen, wie es ohnehin nur in wenigen Momenten möglich scheint, hinter die männliche Fassade zu blicken, z.B. als Richard Güttler als Wärter seine Aufgabe in der hierarchischen Welt hinterfragt, als er endlich einmal nicht mehr über Ordnung und Vorschriften spricht und seiner Frau (gut zwischen Loyalität und Desinteresse von Katharina Schneider gespielt) gesteht: „Ich liebe dich“ – doch da schläft diese schon.
Zurück zu Orpheus: Der Gott der Unterwelt ist ein harter Brocken. Felix Balling als Hades bleibt schön lässig-sarkastisch („Bring dich doch um, dann kommst du zu ihr!“), lässt sich dann aber auf die Befreiung Eurydikes ein – unter der bekannten Bedingung. Orpheus findet diese Bedingung in seiner Überheblichkeit „lächerlich“, doch eingespielte Kurzszenen (Kann man Schokolade genießen unter der Bedingung, dass man nicht von ihr isst?) beweisen frappierend die Unmöglichkeit der Erfüllung der Bedingung, sodass nach Orpheus‘ Umdrehen Hades triumphierend schreit: „Wer ist jetzt lächerlich?!“
Irgendwie schafft es Orpheus dann aber im zweiten Anlauf – David Hamann betätigt sich hier nicht als Lyraspieler, sondern als Karaokesänger mit beachtlichen Qualitäten. Doch weder ein weinerliches „Fix You“, noch ein egozentrisch-larmoyantes „Sie ist weg!“ können Hades beeindrucken; bei „Deine Spuren im Sand“ kann er aber nicht mehr widerstehen, Orpheus huscht an ihm vorbei und holt Eurydike. Doch mit deren Reaktion hat er nicht gerechnet: In diese Welt ohne Schmetterlinge, in dieses „Leben“ will sie nicht mehr zurück. Sehr beeindruckend und beklemmend zeigt Kim Keller als Eurydike, welche Art von Welt sie als lebenswert empfindet: „Leben kann schön sein, wenn es duftet nach Laub. Nimm Abschied von mir.“
Warum diese Welt so lebensfeindlich ist, das zeigen viele der insgesamt 34 Szenen. In vielerlei Hinsicht geht es um Macht und Kontrolle, beispielsweise in der als Boxkampf dargestellten Diskussion, in der Carlotta Mester als demonstrierender Jugendlicher gegen einen Regierungsrat (Jonathan Mücke) boxt, wobei die Frage gestellt wird, wer eigentlich bestraft werden sollte: Diejenigen, die das Gesellschaftssystem zu verantworten haben, oder diejenigen, die es zu bekämpfen versuchen. Ähnlich geht es nämlich den vier Putzfrauen (schön zickig und streitbar: Annina Muckelbauer, Katharina Schneider, Carlotta Mester und Lilia Rubin) die erst nach einer Weile bemerken, dass nicht sie schuld sind an den Missständen, sondern die herrschende Klasse, also ihr Chef (erneut mächtig als Hades Felix Balling) – doch als der mit dem Hund droht, sind die Machtverhältnisse wieder hergestellt.
Diese Gesellschaftskritik kulminiert in dem verzweifelt herausgerufenen Monolog einer Frau (bedrückend und sehr eindrucksvoll von Carlotta Mester auf die Bühne gebracht), die feststellt, dass sich auch mit einer öffentlichen Selbstverbrennung nichts ändern wird. Da bleibt die im „Himmelblauen Tango“ vorgetragene Aufforderung, sein aus der Hand gefallenes Leben in den Himmel zu werfen, ein frommer Wunsch. Dieser Tango, von Annina Muckelbauer komponiert und unter die Haut gehend gesungen, bleibt einer der wenigen Hoffnung machenden Momente.
In dieser Welt geht es auch immer um die Unvereinbarkeit von Mann und Frau. Dreimal wird dieselbe Szene gespielt, in der Karolina Beli als Frau versucht, ihrem Mann (Rebecca Scheibke) zu verdeutlichen, warum sie keine Kinder will. Grandios agieren die beiden Schauspielerinnen hier, von ängstlich über prollig bis zu selbstbewusst – und doch bleibt die Verständnislosigkeit des selbstzentrierten Mannes: „Und ich?“
Und diese Verständnislosigkeit zieht sich durch viele Szenen. Ob nun Jule Oeckler als Mädchen auf der Flucht versucht, ihrem Mann (Philipp Korn) zu verdeutlichen, dass sie zu sterben bereit ist, solange sie nur mit ihm zusammen ist; ob Johann Berger als völlig desinteressierter Ehemann die von Lilia Rubin wirklich verzweifelt gesendeten Hilferufe nach Emotionalität beeindruckend kaltblütig überhört; oder ob eine begeisternd positiv gestimmte Katharina Schneider einen Fisch fangen will, wofür sie von einem jammernden Jonathan Mücke als „dumm“ bezeichnet wird – immer reden Männer und Frauen aneinander vorbei.
So bleibt Karolina Beli am Ende als Kommentar, sowohl zu Orpheus und Eurydike, aber auch zu Mann und Frau allgemein sowie zur Gesellschaft nur ein pessimistischer Ausblick, in Form von Sapphos „Seufzer“: „Ich schlaf allein.“
Die beeindruckende Teamleistung der Mittelstufen-Theatergruppe zeigt sich in der gesamten Produktion. Für die die Handlung untermalende Musik sorgten fast alle Schauspieler/innen selbst live, indem sie hinter einer Schattenwand allein oder mehrfach musizierten, beruhigend, elegisch und traurig (Jacques Offenbachs „Can-Can“ in Moll!), immer aber passend. Auch als am Ende der begeisterte Applaus des Saales ertönte, empfingen ihn die Spieler/innen zusammen als Gruppe engagierter, selbstbewusster und beeindruckender junger Leute, womit sie einen optimistischen Gegenpol zum vorher Gesehenen bilden. Zu erwähnen bleibt natürlich auch die Souffleuse Sarah Wartzack sowie die Helfer bei Technik und Maske, die dazu beitrugen, dass diese Produktion solch ein Erfolg wurde.
Unter der Leitung von Tina Morcinek ist hier (erneut) eine Aufführung gelungen, die einem Musischen Gymnasium alle Ehre macht und die weit über den Begriff „Schultheater“ hinausgeht. Das E.T.A. Hoffmann-Gymnasium wurde damit mehr als würdig auf den Bamberger Schultheatertagen vertreten – auch wenn diese der Grund dafür waren, dass das Stück bedauernswerter Weise nur einmal zu sehen war. Ein Verlust für diejenigen, die die Aufführung verpasst haben sollten.

M. Stübinger

 

{tab Bildergalerie}

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