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Osage County - Eine Familie

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„Mach doch wenigstens mit, wenn ich versuche, dich zu erniedrigen!“ – Der Mythos von Familie und Geschwisterliebe


„Verdammt noch mal, ich bin ja noch da!“ – diese resignierte Erkenntnis von Barbara Weston kurz vor dem Schlussvorhang bringt das Grundproblem des Stücks „Osage County“ von Tracy Letts auf den Punkt: Wie gehen die Figuren auf der Bühne mit ihrer  durchwegs enttäuschenden Existenz um, oder besser: Wem können sie für ihr verpfuschtes Leben die Schuld in die Schuhe schieben? So kommt es, dass zweieinhalb Stunden nur die einzelnen Familienmitglieder, ihre Frustrationen, Süchte, geplatzte Träume und ihr gegenseitiger Hass dargestellt werden – und die Schauspieler des P-Seminars unter der Leitung von Holger Landgraf bringen diese Handlung so konzentriert, engagiert und mitreißend auf die Bühne, dass jede Sekunde spannend ist und am Ende zu Recht begeisterter Applaus eine meisterhafte Teamleistung belohnt.

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... muss nachgeliefert werden ...

{tab Kritik}
Das P-Seminar hatte sich keine leichte Kost gewählt, sind doch in dem Stück, das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, die optimistischen Momente deutlich in der Minderheit. Im Grunde geht es um eine „stinknormale“ zerrüttete Familie, deren Familiengerüst bei einem Zusammentreffen im Elternhaus in den Weiten Oklahomas immer weiter in sich zusammenfällt. Das wird schon am treffenden Bühnenbild (Johanna Seggelke, Pauline Haag) deutlich, das eben ein etwas in die Jahre gekommenes, verwahrlostes Zuhause zeigt. Dieser trostlose Eindruck wird akustisch untermalt durch die einleitenden und abschließenden melancholischen Bratschentöne von Johanna Seggelke, begleitet von Laura Do am Klavier.

Der Vater, Beverly Weston, der sich selbst als menschlichen Kaktus bezeichnet, da er ohne Zuneigung aufblüht, wird von Jonas Hamann mit bitterem Humor und einer sarkastischen Aussichtslosigkeit dargestellt, dass man nachvollziehen kann, dass er sich schnell aus dem Stück verabschiedet – er verschwindet und bringt sich um, wie man später erfährt. Vielleicht ist der Selbstmord tatsächlich der einzige Weg aus der Familienhölle, wie auch eine sehr anrührende Version von „You’ll be okay“ (Klavier: Lauro Do; Gesang: Johanna Seggelke, Kim Fischer) nahelegt.

Um die Ordnung im Haus zumindest ansatzweise aufrecht zu erhalten, stellt er kurz zuvor noch eine Haushälterin ein, die Indianerin Johnna, die von Pia Gsänger kontrolliert, ruhig und dennoch bestimmt verkörpert wird, wodurch sie sich  während des Stücks immer mehr zum Gegenpol zum Wahnsinn der Familie Weston entwickelt. Deren Zentrum ist nun natürlich die Mutter Violet, von Stella Madlener grandios auf die Bühne gebracht: einerseits sehr realistisch und glaubhaft verwirrt (wegen des Tablettenkonsums), andererseits in ihrem subjektiv unermesslichen Leiden, das nicht nur auf ihrem Mundhöhlenkrebs beruht, berechnend und anschuldigend. Die Schauspielerin brilliert mit differenzierter Mimik, einer bewundernswerten Stimmführung und einem extrem überzeugenden Gesamtauftritt! Eine derartig starke Persönlichkeit kann ja nur bevormundend für ihre Töchter sein. Und so verwundert es nicht, dass diese auch alle ihre ganz eigenen Probleme haben und sich gegenseitig immer wieder vorwerfen, Lieblingskinder von Vater oder Mutter gewesen zu sein.

Da wäre zunächst Ivy, die schon in den Vierzigern ist und eigentlich ein Verhältnis mit ihrem Cousin hat, von dem natürlich niemand wissen darf. Katharina Popp übernimmt diese Rolle sehr konzentriert und stellt bewundernswert den Konflikt zwischen der Loyalität gegenüber der Mutter und dem Freiheitsdrang nach selbstbestimmtem Leben dar.

Oder Karen, die zweite Tochter, die seit Jahren die Familie nicht mehr besucht hat, ihre Abwesenheit, ihre gescheiterten Beziehungen und sogar den Tod des Vaters („Nimm es einfach, wie es kommt!“) als positive Erfahrung verbuchen will – dementsprechend inszeniert sie sich auch selbst, beziehungsweise Laura Do inszeniert diese Person hervorragend, vom perfekten Äußeren bis hin zur Fröhlichkeit, die an Hysterie grenzt, so sehr betont sie ständig, wie „toll“, „super“ und „gut“ alles sei. Auch diese Maske muss aber fallen, spätestens, als ihr Verlobter Sven Heidebrecht, herrlich überheblich und mit Macho-Allüren von Dominik Weinert gespielt (übrigens in einer Doppelrolle: später auch noch der Sheriff am Ort), versucht, Karens vierzehnjährige Nichte Jean zu verführen.

Diese wiederum ist die Tochter der dritten Schwester, Barbara, und deren Ehemanns, Bill. Und auch in dieser Familie ist keiner ehrlich. Can Özalp verkörpert Bill, der seine Frau mit einer Studentin betrügt, sehr differenziert zwischen analytischer Kontrolle und Verantwortungslosigkeit gegenüber seiner Tochter. Von dieser denkt der Zuschauer zunächst, sie sei nicht in die Verlogenheit der Familie einbezogen, doch nach und nach kommt durch Kim Fischers variantenreiche Darstellung der Jean einerseits ihre Naivität, anderseits ihre Gleichgültigkeit gegenüber der Familie sehr schön zum Ausdruck. Auch hier eine tolle schauspielerische Leistung!
Und schließlich ihre Mutter Barbara: In ihrer Rolle zieht Luise Hornung alle Register der Schauspielkunst – ist diese Person doch grenzenlos frustriert durch ihre gescheiterte Ehe, überfordert von der Verantwortung für ihre Tochter und mit Schuldvorwürfen seitens der Mutter unter Druck gesetzt. So wechselt Luise Hornung zwischen Aggression, Mitgefühl und Berechnung und steigert sich in ihrem Spiel, bis sie schließlich in einer Art Staatsstreich versucht, die Kontrolle über die Mutter und die Familie zu erlangen – was natürlich scheitern muss. Luise begeistert als Barbara, was durch mehrfachen Szenenapplaus belegt wird.

Blieben noch die Schwester von Violet, Mattie Fae, und ihre Familie. Hier rauscht mit Ella Frey die personifizierte energische Emotionalität auf die Bühne, die erst einmal keinen Widerspruch duldet. Schon gar nicht von ihrem Mann Charlie, der von Aaron Weinmann zunächst resigniert kleinlaut, später aber überraschend selbstbewusst gespielt wird, als ihm wegen der Anschuldigungen und Beleidigungen, die Ella Frey als Mattie Fae in giftig-sarkastischer Weise verteilt, endgültig der Kragen platzt. Ein toll dargestelltes Ehepaar!

Ihr Sohn Little Charles wird von allen als Versager angesehen, und so wird er auch von Jonas Hamann äußerst anschaulich gegeben: niemandem in die Augen sehend, fahrig in den Bewegungen und unsicher in der Stimme. Die einzige Ausnahme bilden die heimlichen Treffen mit seiner Cousine Ivy, bei denen er so sein darf, wie er zu sein glaubt. Und so findet ironischerweise einer der ganz wenigen Momente der Ehrlichkeit in diesem Stück dann statt, wenn die beiden gemeinsam am Klavier ausgerechnet eins der abgedroschensten Lieder der Musikgeschichte intonieren: „Love me tender“, in einer sehr innigen Interpretation.

Natürlich eskaliert alles und unliebsame Geheimnisse kommen zutage. Es wird gestritten, geschrien, geweint und geschlagen – und genau hier liegt das Besondere der Leistung der Schauspieler. Das alles geschieht so unmittelbar, ehrlich, dynamisch und kraftvoll, dass die Dialoge zu Kampfhandlungen werden und die Bühne zum Schlachtfeld. (Übrigens: Noch nie dürfte auf der E.T.A. Bühne so viel geraucht, getrunken, gekifft und genommen worden sein – diese Familie scheint nur mit Betäubung ertragbar zu sein).
Am Ende hat sich nichts verändert, auch wenn inzwischen klar geworden ist, dass Ivy und Little Charles Geschwister sind, dass Barbara und Bill nie wieder zusammen kommen werden, dass der Vater Bev seine Violet mit deren Schwester betrogen hat – und dass Violet den Selbstmord ihres Mannes durch einen Anruf hätte verhindern können. Violet bleibt alleine mit der Haushälterin Johnna zurück – die einzige übrigens, die sich nach ihren inzwischen verstorbenen Eltern gesehnt hätte. Und mit Barbaras Erkenntnis: „Vielleicht muss ich einfach sterben, damit alles verschwindet.“

Maske und Kostümierung wurden von Denise Brodmerkel und Carolina Rabe sehr passend gewählt und gestaltet, bis hin zur authentischen Darstellung des Alters der Personen. Elisa Schönfeld fungierte zuverlässig als (nicht benötigte) Souffleuse und im Hintergrund als Unterstützung der Regie. Oft wird übersehen, dass auch die Licht- und Tontechnik tagelange akribische und kreative Vorbereitung und Arbeit erfordern, die von Johannes Bauer souverän und jederzeit zuverlässig geleistet wurde. Tatkräftige unterstützt wurde dabei vom erfahrenen und kompetenten Technik-Team der Schule (Leitung: Lukas Mattenklodt, Niklas Sommer und Alexander Barth).

Holger Landgraf hat als Theaterleiter wieder einmal Maßstäbe gesetzt, das gesamte P-Seminar hat in zwei beeindruckenden Aufführungen als Team unter Beweis gestellt, dass am E.T.A. mehr als Schultheater möglich ist. Applaus!

Martin Stübinger

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