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Gymnasium Bamberg

"Schuld! Das ist Gesetz!"

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Bilder

Fotos Freitag: C. Morcinek

Fotos Samstag:  A. Kiessling

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Flyer

 

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Kritik

 

Lektüren im Deutschunterricht wird ja oft eine begrenzte Relevanz in Bezug auf die Lebenswirklichkeit der Schüler sowie eine geringe Begeisterungsfähigkeit nachgesagt. Diese Vorurteile strafte das P-Seminar Theater Q12 unter der umsichtigen Leitung von Anja Kießling mit der Inszenierung eines der wohl sperrigsten Lektüre-Klassikers – Kafkas über hundert Jahre alte Erzählung eines ebenso verzweifelten wie aussichtslosen Kampfs gegen die eigene Schuld, „Der Prozess“  - derartig überzeugend Lügen, dass man dankbar sein muss für die durch eine beeindruckende Aufführung nachdrücklich ausgesprochene Lektüreempfehlung.

Kafka? Als junger Mensch? Die Beschäftigung mit diesem Autor, dessen Werk geprägt ist von der Begegnung mit der Nutz- und Sinnlosigkeit menschlichen Tuns trotz andauernder Suche nach dem Sinn, mag absurd erscheinen angesichts der Tatsache, dass vor den Schauspielerinnen (ein Schauspieler war darunter, der sich im Zuge der Geschlechtergerechtigkeit im folgenden Text mitangesprochen fühlen darf – nicht zuletzt deshalb, weil er durchaus feminine Züge zum Vorschein bringen wird) nicht nur ein hoffentlich erfolgreiches Abitur, sondern auch eine tolle Zukunft liegt.

Und dennoch offenbarte der sehr ansprechend in ein Drama umgeschriebene Text, dass sich die Schülerinnen nicht nur sehr intensiv mit dem Roman auseinandergesetzt hatten, sondern dass sie ihr Verständnis auch durchgehend überzeugend auf die Bühne zu bringen in der Lage waren. Das Besondere dabei war die Teamleistung, die nicht zuletzt durch die durchgehende Präsenz aller Mitspielerinnen auf der Bühne oder im Zuschauerraum ausgedrückt wurde. Alle spielen alle – ein Konzept, das nicht nur dank einer extrem konzentrierten und hervorragend geschauspielerten Leistung aufging, sondern das zudem die Auswechselbarkeit und Beliebigkeit der Figuren zum Ausdruck brachte – Josef K. sind wir alle, wie es gesagt wird: „Alle, die hier sitzen, sind Angeklagte, die auf ihren Prozess warten.“ Das verunsichert auch beim Zuschauen. Zum Ausdruck kommt das auch dadurch, dass die Figur des Josef K. fast unmerklich weitergegeben zwischen drei Schauspielerinnen wird: Henrike Plötner beginnt, noch überrascht und ratlos, als K. mit der Verhaftung konfrontiert wird. Sehr authentisch entwickelt Henrike ihren K. weiter, wechselt glaubhaft zwischen Verzweiflung und Überforderung, bis ihm die junge Leni schließlich die Möglichkeit gibt, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Julia Pelikan als K. beginnt energischer, will sich gegen die vermeintliche Behördenwillkür wehren und behauptet selbstbewusst „Ich bin unschuldig!“ – nicht ahnend, dass mit dieser Aussage bereits die Bereitschaft zur Teilnahme am Prozess einhergeht. Auch die Passagen im Konflikt mit K.s Arbeitsplatz in der Bank werden von Julia so nachvollziehbar gestaltet, dass man sich als Zuschauer (beinahe?) in den inneren Konflikt ziehen lässt, der eigentlich nur das Produkt von K.s Einbildung ist. Und auch Emilia Hülswitt verkörpert Josef K., indem sie sehr gut die unsichere Seite von K. zum Ausdruck bringt, beispielsweise, als dieser verzweifelt versucht, telefonisch Hilfe zu rufen, oder als dieser das erste Mal vor Gericht erscheint. Besonders eindrücklich wird Emilias Spiel, als K. feststellen muss, dass das Gericht überall ist und ein Freispruch nicht möglich scheint – in dem  Ruf „Das hab ich nicht gewusst!“, der im Dunkeln ertönt, bringt Emilia die Verzweiflung K.s erschreckend persönlich zum Vorschein.

Ohne Anklage wird K. zu Beginn verhaftet, worauf seine Odyssee auf der Suche nach seiner Schuld und einer Möglichkeit, davon befreit zu werden, beginnt. Dabei kommen die anderen Mitglieder der Theatergruppe in vielfältiger Weise zum Einsatz, ein paar Rollen sollen hier als Beispiele für die Variabilität der Truppe dienen. So ist Alina Baier nicht nur ein strenger Türhüter, sondern sie spielt auch den Direktor-Stellvertreter, der K. im Nacken sitzt, so korrekt und überheblich, dass er nachvollziehbar eine Bedrohung für K. darstellt. Ruth Gerner beginnt harmlos-verführerisch, indem sie als Bedienstete Leni K. ablenken will, doch bereits hier deutet ihr kontrolliertes Spiel an, dass sie mehr weiß, was sich später auch in der lauten Warnung „Sie hetzen dich, Josef K.!“ manifestiert. Auch als hochmütiger Untersuchungsrichter weiß Ruth zu überzeugen. Einen ähnlichen Status verkörpert Luise Bittner als Aufseher in der Verhandlung, wo sie ihre Rolle bewundernswert sauber, kontrolliert und damit natürlich für K. extrem verunsichernd gestaltet. Doch auch als Gefängniskaplan liefert Luise eine starke Leistung, muss sie hier doch einerseits mächtig, andererseits durchaus verständnisvoll spielen, denn eigentlich muss sie K. ja verdeutlichen, dass er selbst für seinen Prozess verantwortlich ist: „Das Gericht will nichts von dir.“ – wohl einer der wichtigsten Sätze wird hier schön hervorgehoben. Regina Linzmayer gestaltet nicht nur (gemeinsam mit Alina Baier) zu Beginn einen schön stoischen Wächter, sondern später auch einen sehr dominanten Bankdirektor, der K. von oben herab behandelt und ihn durch seine Ansprüche unter Druck setzt. In die Reihe der Personen, bei denen K. eine Niederlage erleidet, reiht sich auch Luisa Galefske als Waschfrau ein, die von ihr so verführend und prinzipienlos dargestellt wird, dass es am Ende nicht verwundert, wenn sie mit anderen Männern die Bühne verlässt.  Und dann ist da noch eine Frau, nämlich Frau Grubach – völlig konzentriert und ohne billigen Humor gespielt von Max Schneider, der aber nicht nur in dieser Rolle überzeugen kann, sondern vor allem als kränklicher Advokat Huld, der zwar kenntnisreich spricht, dessen Verteidigung allerdings nicht vorankommt. Max stellt diese Person sprachlich und körperlich so selbstbewusst und doch in seiner Macht begrenzt dar, dass man K.s Verzweiflung über eine derartige Verteidigung verstehen kann. Als K. deshalb den Gerichtsmaler Titorelli um Auskunft über seinen Prozess bittet, klärt Lilly Zimmermann ihn sehr pragmatisch und lakonisch über seine Chancenlosigkeit auf. Schön, wie Lilly hier völlig ungerührt agiert und so die Verzweiflung K.s ins Höchste steigert.

Die Reduzierung der Mitspielerinnen auf diese beispielhaften Rollen greift zu kurz, eigentlich waren sie alle immer anwesend, als Gerichtsangestellte, als Türhüter, als innere Stimme – und auch als sie selbst. Denn als am Ende, ein Jahr nach der anfänglichen Verhaftung, Emilia, Julia und Henrike gemeinsam als K. am Vorabend seines 31. Geburtstages über K.s Situation nachdenken, mischen sich auch Gedanken der Theatergruppe mit ein, wodurch das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber einer Schuldzuweisung eine anschauliche Direktheit gewinnt. Kann man dieser Schuld entkommen? K. hätte im Verlauf der Geschichte die Möglichkeit dazu angeboten bekommen, am Ende steht aber die Parabel vom Türhüter, der die Türe, die nur für K. gewesen wäre, zuschließt. Das Stück endet mit dem Schrei: „Schuld! Das ist Gesetz!“ und dem Tod K.s.

Die schwarz gehaltene Bühne und der sparsame Einsatz von Requisiten ermöglichte den Fokus auf die inneren Vorgänge K.s, der sich immer weiter in seiner Schuld verstrickt, was augenfällig durch ein sich immer weiter verwirrendes Netz aus Wollfäden zum Ausdruck gebracht wurde. Eine intelligente Licht- und Tonregie (souverän vom Technikteam des E.T.A. mit Leo Thiele, Antonio Echaniz Gerhard, Jakob Hannusch und Franz Wunner eingesetzt) verstärkte das Gefühl der Bedrückung, das sich bei aller Spannung durch den gesamten Abend zog. Erwähnenswert ist auch die ausgeklügelte Choreografie, die nicht nur die Breite der Veranstaltungshalle ausnutzt, sondern sowohl K. als auch das Publikum durch die Allgegenwart der Schauspielerinnen einbezieht und einengt. Die Souffleuse, die dankenswerter Weise von Laura Slovacek übernommen wurde, kam nicht einmal zum Einsatz.

Der trotz der schweren Thematik unheimlich fesselnde Theaterabend offenbart eine schauspielerisch und intellektuell beeindruckende Teamleistung eines P-Seminars, engagiert und hervorragend geleitet von Anja Kießling, sodass es keine bessere Werbung für das Musische Gymnasium, die Relevanz des dramatischen Gestaltens in der Schule und nicht zuletzt für die Deutschlektüre geben könnte. Chapeau!

M. Stübinger

 

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