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Eine Zeitreise

Im Oktober unternahmen die Deutsch-Kurse der gesamten Oberstufe eine Fahrt zur Wiege der deutschen Klassik, nach Weimar. Emilia Schader hat ihre Eindrücke von dieser Fahrt in einem Essay umgesetzt.

Ein ewiger Traum von der Vergangenheit – in einem solchen scheint sich Weimar zu wiegen, und ich habe am 6. Oktober das Glück, selbst für sechs Stunden an ihm teilzuhaben.
Nicht zuletzt ist diese erste Assoziation meinerseits auf die literaturepochale Bezeichnung der „Weimarer Klassik“ zurückzuführen, mit welcher ich mich bereits im Deutschunterricht konfrontiert sah. Doch schon bald nach der Ankunft vor Ort komme ich zu der Erkenntnis, dass dieses Vorwissen einzig einen Teil dessen beschreibt, was Weimar so fundamental prägt. So fühle ich mich an dieser Stelle gewissermaßen dazu verpflichtet, auch die Kunst der Musik und die des Baus neben der der Literatur zu würdigen.
Doch fokussieren wir uns von nun an auf Letztere, so wie ich es auf meiner Exkursion tue. An jenem Tag wird mir die Möglichkeit geboten, den Ursprung dessen, was man sonst auf Papier liest, um im folgenden mögliche Deutungshypothese aufzustellen, selbst zu erfahren. Bekanntlich trägt das Wissen um die Ursache einer Rätselhaftigkeit maßgeblich zum Erfolg bei der Suche nach Zugangswegen bei. Dieses Prinzip lässt sich mühelos auf die Literatur übertragen. Beispielhaft ist hier die tiefgründige Begegnung mit bedeutsamen Dichtern sowie deren Werken zu nennen. Das Reduzieren der zeitlichen Distanz zwischen gegenwärtigen und vergangenen Denkweisen kann dabei nicht selten zu Komplikationen führen. Daher kann ich persönlich feststellen, dass mir das tatsächliche Erblicken des Umfelds, das größte deutsche Literaten einst täglich umgab, sowohl diese selbst als auch ihre Werke um einiges näherbringt. Dass die Berühmtheit Friedrich Schiller, geboren 1759, stets von Krankheiten geplagt, bereits mit 45 Jahren verstarb, bedauert der ein oder andere vermutlich des Talents wegen, das sich bei längerer Lebensdauer in weiteren Werken Weimar Goethehaushätte beweisen können. Doch hier in Weimar stehend – vor dem originalen Bett, in dem sich der besagte Schriftsteller viel zu früh von den Lebenden verabschiedete –, wird man auch auf emotionaler Ebene berührt. Ich befinde mich genau dort, wo Herr, ab 1802 „von“, Schiller vor 217 Jahren so gelitten hat. Neben mir der Schreibtisch, an dem er selbst nur wenige Zeit vor seinem Tod große Dramen, wie zum Beispiel „Wilhelm Tell“ oder „Die Braut von Messina“ verfasst hat. Als Steigerung der empfundenen Nähe zur Vergangenheit sind neben zahlreichen Zeichnungen und Abbildungen seiner Person selbst zwei echte „Schillerlocken“ in einer Glasvitrine im Zimmer seiner Ehefrau Charlotte zu finden. Der Traum von meiner Zeitreise wirkt immer realer.
Man könnte meinen, dass die beschriebene von literarischer Geschichte geprägte Atmosphäre ausschließlich auf solche historischen Gebäude beschränkt ist. Doch zwischenzeitliches Mäandern durch die Stadt offenbart mir das Gegenteil. Heute findet sich – wie ich behaupte –, wohin man hier nur sieht, ein Beweis bzw. eine Betonung des enormen Werts der kulturellen Identität Weimars. Von zahlreichen historischen Bauwerken, zugehörigen Nationalmuseen, Wegweisern zu eben diesen, Straßennamen und Buchhandlungen bis hin zu einzelnen erwerblichen Produkten – das Schaffen und Wirken der literarischen Genies ist in jedem Winkel der träumenden Stadt verewigt. Teesorten mit den Namen „Geheimrat Goethe mit Ginkoblättern“ und „Schillers Traum“ sind dazu bestimmt, einige Zeit im Gedächtnis zu verweilen. Weimar ist einzigartig.
Einzigartig auch sein wohl berühmtester Einwohner – Johann Wolfgang von Goethe. Die Bezeichnung Goethes als Genie hat sich im Sprachgebrauch von so manchem etabliert. Aber worauf gründet dies? Nicht wenige würden sich bei einer Antwort auf diese Frage wahrscheinlich ausschließlich auf Goethes literarische Begabung beziehen. Sicherlich stellt dieses Talent auch den wesentlichsten Grund für seine Berühmtheit dar. Dennoch erweitert sich mein Bild seines Genies durch den Besuch der Dauerausstellung im Goethe-Nationalmuseum drastisch. Manch einer vertritt die Ansicht, jeder Mensch habe eine einzige Bestimmung, verfüge über eine differenzierte Fähigkeit, die ihn zu seiner selbst macht. Schließt man sich dieser Meinung an, so endet man bei der Folgerung, dass Johann Wolfgang von Goethe kein einzelner Mensch gewesen sein kann. Er scheint Botaniker, Geologe, Anatom, Politiker, Künstler im Gebiet der Zeichnung gewesen zu sein – alles zugleich und bestimmt noch einiges mehr. Und dann repräsentiert er eben noch einen der bedeutendsten deutschen Literaten. Mit dem Manuskript des „Urfaust“ ließ sich Goethe 1775 in Weimar nieder und leistete hier später mit „der Tragödie erster Teil“ einen seiner Beiträge zur Weltliteratur. All dieses komprimierte Wissen wird mir bei einer nur etwa einstündigen Besichtigung von „Lebensfluten – Tatensturm“ vermittelt. Was erwartet mich, wenn ich den Traum von Weimar noch längere Zeit lebe?
Weimar Anna Amalia1Der Eindruck, den ich mir zudem von der „Herzogin Anna Amalia Bibliothek“ bzw. von deren imposantem Rokokosaal verschaffen darf, perfektioniert durch zauberhafte Wirkung das Erlebnis des Traums von der Vergangenheit. Ich sehe Bücher, für deren Aufsicht u.a. einst Goethe als Geheimer Rat unter Herzog Carl August verantwortlich war. Sie sind Überlieferungen der größten Geister unserer Geschichte. Worte können nicht beschreiben, wie eindrucksvoll der mit zahlreichen goldenen Ornamenten verzierte zweigeschossige Saal mit seinen vielen Büsten und Gemälden bedeutender Persönlichkeiten wirkt. Der Traum spielt sich für einen Moment in einer Welt von Büchern ab.
Die aufgeführten historischen Elemente besonders der Literaturgeschichte, der damit einhergehende Wert und die erschaffene Atmosphäre kreieren gewissermaßen die exzeptionelle, singuläre und phänomenale Identität Weimars. Dabei wird der ewige Traum von der Vergangenheit sowohl durch moderne städtebauliche Elemente als auch internationale Restaurants zu einer einzigartigen Vollkommenheit ergänzt. Eine Reise nach Weimar bedeutet gleichsam eine Reise in die Vergangenheit mit Aktualitätsbezug.
Mit dem ersten Schritt, den ich in das Wohnhaus des so bedeutsamen Genies setze, ist nun der Prozess der Zeitreise vollendet, und ich finde mich in der Vergangenheit des 18. Jahrhunderts wieder. Gemälde, Möbel, Skulpturen als Zeugnisse seiner Italienreise – alles an seinem Platz. Die Dielen knarzen unter meinen Füßen, wie es sich gehört. Ich warte im Deckenzimmer. Herr von Goethe müsste gleich da sein.

Emilia Schader, Q12-d2

Bilder: M.Stübinger, W. Metzner