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Gymnasium Bamberg

„Mag sein, dass die Gedichte mich gerettet haben…“

Eine Aussage, die für manche Schüler/innen vielleicht seltsam klingt. In der Regel suchen sie doch eher Rettung vor Gedichten - oder Auswege aus dem Dschungel der Stilmittel, Metren oder Reimschemata. Dass Gedichte „lebenswichtig“ und vielleicht sogar „lebenswendend“ sein können, ließ Nevfel Cumart anklingen, der am 13. Juli 2022 in der Klasse 9p eine kleine, intime „Klassenzimmerlesung“ durchführte. Freilich ist diese Einsicht dem Autor selbst in früheren Zeiten gar nicht so direkt bewusst gewesen, als er beispielsweise darunter litt, dass ihn der Vater seiner deutschen Freundin wegen seiner Herkunft nicht akzeptierte oder dass ihm trotz Studium und dichterischem Erfolg lange Jahre noch das „Tarzan-Deutsch“ begegnete: „Du nix verstehen?“ Wozu die Gedichte beigetragen haben, die der Autor schon seit seiner Jugend schrieb und zu deren Veröffentlichung er damals erst von außen überredet werden musste, zeichnete sich erst beim Reflektieren viele Jahre später ab – oder beim Lesen von aktuellen Dissertationen über den Dichter und sein Werk. Schreiben als Weg, ja als „Ausweg“ – während manch andere junge Menschen ihren Weg nicht finden.

Den Schülerinnen und Schüler der 9p erzählte der Autor nicht nur Geschichten über die Herkunft seines Namens, sondern auch, dass er infolge eines Sturzes noch ziemlich angeschlagen sei und sich extra für die Lesung am E.T.A. aus seinen Verbänden „befreit“ habe. Es folgten, eingerahmt von spontan ausgewählten Gedichten über Cumarts Tochter Amelia, über das Fremdsein oder über die Liebe, Eindrücke aus einer Biografie, die von „zwei Welten“ geprägt war: der „türkischen Welt“ im Elternhaus und der „deutschen Welt“ in seinem Geburtsort Stade und später am Studienort Bamberg, der zur Wahlheimat wurde.

Dass es wichtig ist, seinen eigenen Weg zu machen, war eine der Botschaften, die Nevfel Cumart mit auf den Weg gab, wobei es freilich gerade in Deutschland immer sehr wichtig ist, für alles einen Abschluss zu haben. Dass man es mit Migrationshintergrund und aus einfachen Verhältnissen stammend schaffen kann, zu künstlerischer Anerkennung zu gelangen, davon erzählen die siebzehn Gedichtbände, die der Autor bereits veröffentlicht hat, wie auch die vielen Preise und Ehrungen, über die er vor der Klasse gar nicht spricht. Bereits 1983 hielt Nevfel Cumart noch als Schüler seine erste Lesung, die ihm damals nach eigenem Bekenntnis große Überwindung gekostet hat. Davon ist jetzt, viele Jahre später und nach unzähligen Veranstaltungen mit Erwachsenen im In- und Ausland, in Brennpunktschulen oder eben auch am E.T.A., nichts mehr zu spüren, im Gegenteil: Dieser Autor lebt auf in der Begegnung mit (jungen) Menschen und kann seine Texte so vortragen, dass man sie versteht und davon berührt wird, auch wenn man kein „Lyrikspezialist“ ist.  

Freilich – nur 1,8% der Schriftsteller können in Deutschland von ihren Gedichten leben, wobei das geschriebene Wort nicht das Entscheidende ist, sondern das gesprochene, sei es bei Lesungen, Vorträgen oder in Workshops. Eine solche Schreibwerkstatt wird für das nächste Jahr mit der Klasse ins Auge gefasst - auch wenn es nach Meinung des Dichters eigentlich „nichts Neues“ mehr gibt, dafür aber vielerlei „in anderen Gewändern“. Und so gilt es, für den Dichter wie auch für Schülerinnen und Schüler, die sich vielleicht schon selbst am Schreiben versuchen, diese Gewänder kreativ zu „schneidern“, an ihrer „Passform“ zu arbeiten und seinen eigenen Stil zu suchen – in der Literatur wie im „richtigen Leben“.

(Angela Kestler)