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Gymnasium Bamberg

„Alle Wasser laufen ins Meer“

„Alle Wasser laufen ins Meer…“ (nach Kohelet 1,7), so heißt der Titel des Romans, den Martin Beyer über den Lyriker Georg Trakl geschrieben hat. Bei diesem klingt es in seinem letzten Gedicht ähnlich, nur dunkler, unheilvoller, fast so, als habe er das Ausmaß der Katastrophe des Ersten Weltkrieges und seinen baldigen Tod bereits im Herbst 1914 vorausgeahnt: „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ Wie kann man Jugendlichen ein derart düsteres Programm bieten? Einen so sperrigen Autor präsentieren, der mit sich und der Welt nicht zurechtkommt, sich mit Alkohol und Drogen abschottet und am Ende mit 27 Jahren an einer Überdosis stirbt?

Vielleicht deshalb, weil wir heute ähnlich wie die Menschen der vorletzten Jahrhundertwende in einer Zeit des Umbruchs, der Reizüberflutung und der Krise leben. Oder auch, weil viele (junge) Menschen noch immer Probleme damit haben, sich selbst zu finden, ihre Talente zu entfalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Bestimmt auch aus dem Grund, weil oft gerade die Menschen spannend und bereichernd sind, an denen man sich reibt und bei denen nicht alles so glatt läuft.

Es war eindrucksvoll, Martin Beyer in einem (coronabedingt) sechsstündigen „Lese-Marathon“ für die Klassen 10p, 10r und 9p zu erleben. Absolut präsent und doch locker, begeistert, aber nicht aufdringlich, die Stimme trotz Maske klar zu verstehen (an dieser Stelle ein dickes Lob an das „Nachwuchs-Technikteam“ um Christian Schreiner!), angenehm, „wohltuend“ und „entspannend“ (aus dem Feedback). Man hätte stundenlang zuhören können, abschalten, in eine andere Welt eintauchen. Und es war interessant zu beobachten, wie jede der drei Lesungen eigene Akzente setzte. „Absolut sympathisch“ und „erfreulich normal“, so lautete der Grundtenor in den Klassen über den Autor, der in Bamberg Germanistik studiert und promoviert hat, dort auch mit seiner Familie wohnt und – ähnlich wie Trakl - für das Schreiben brennt. Dass man als Schriftsteller ohne zwingende Gründe gleich mehrere Jahre lang an einem so „schwierigen Fall“ dranbleiben kann, hat den einen oder die andere im Plenum verwundert. Ob es nötig oder vielleicht sogar geboten ist, im Sinne der Kunst selbst einen derart selbstzerstörerischen Lebensentwurf zu leben, ist eine Frage, die herausfordert, gerade an einem musischen Gymnasium.

Martin Beyer gelang es in seinem knapp zweistündigen Vortrag durch Bilder, Gedichte und viele Passagen aus seinem Roman von 2009 ein plastisches Bild von der Zeit und den zentralen Personen um den Salzburger herum entwerfen. Dabei wurden Georg Trakl und seine Schwester durch das Lesen so einfühlsam zum Leben erweckt, als sei der Autor des Romans bei den vorgetragenen Szenen selbst mit dabei gewesen (so der Kommentar einer Schülerin). Dem jugendlichen Publikum begegnete ein junger Mann, der zwar das Alltägliche nicht ohne Hilfe bewältigen konnte und es an keinem Arbeitsplatz lange aushielt, der aber seine Berufung zum Dichter in einer inneren Konsequenz und Radikalität zu leben versuchte, als sei ihm die Knappheit seiner Tage von Anfang an bewusst gewesen. Was in dieser Schaffenszeit an Gedichten entstand, wirkt fast wie ein Rausch an Wahrnehmungen - einfache Naturbilder in jeder Zeile, sinnliche Sprache, eigener „Farbcode“, Verzicht auf Ich-Auskünfte, teils faszinierend-schwebend, teils düster-verstörend, immer leicht melancholisch und dekadent. Ein Spiegel der untergehenden Donaumonarchie, aber auch Ausdruck einer sensiblen, leicht verletzlichen Seele in einem eher grobschlächtigen Körper…

Zum Abschluss der Lesung, nachdem viele interessierte Fragen der Schülerinnen und Schüler beantwortet worden waren, wurde das Antikriegslied „Brothers in Arms“ von den Dire Straits eingespielt. Wenn es hier heißt „Now the sun's gone to hell and the moon's riding high“, so klingt dies erschreckend ähnlich wie in Trakls letztem Gedicht „Grodek“. In der Ukraine, wo dieser Ort heute liegt, ganz in der Nähe der Stadt Lviv, die manchen noch vom Schüleraustausch bekannt ist, findet man immer noch die besungenen „goldnen Ebenen“, aber auch, weiter entfernt davon im Osten, einen fast „vergessenen“ Krieg: „We're fools to make war on our brothers in arms.“
Am 25. November wird die Veranstaltung für die Klassen 9q, 9r, 10a und 10q wiederholt.
Einen herzlichen Dank an den Autor für sein spontanes Entgegenkommen in diesen schwierigen Zeiten und an den KS: BAM für die finanzielle Unterstützung!

(Angela Kestler)