ETA Logo 100  E.T.A. Hoffmann-Gymnasium Bamberg
ETA Logo 100 E.T.A. Hoffmann-
Gymnasium Bamberg

"Und ich war da"

 

 

 

 

„Und ich war da und da warst auch du…

 

und keiner von uns sagte nein!“ (Peter Rühmkorf)

 

 

Was macht uns Menschen zum Mitläufer, was zum Mittäter?

 

Autorenlesung mit Dr. Martin Beyer am 18.02.2020

 

 

„Was hättet ihr gemacht, wenn ihr in Zeiten der NS-Diktatur groß geworden wärt?“

 

Diese Frage stellt der Bamberger Autor Martin Beyer zu Beginn seiner eindrucksvollen Lesung aus seinem aktuellen Roman „Und ich war da“ den anwesenden Schülerinnen und Schülern der zwölften, in einer zweiten Lesung auch der neunten Jahrgangsstufe und stürzt die anwesenden Jugendlichen und Lehrkräfte damit gleich persönlich in die grundsätzliche Auseinandersetzung mit einer immanent wichtigen Fragestellung, die vor so manchen zeitpolitischen Ereignissen in Übersee, Europa, aber gerade auch in Deutschland aktueller denn je erscheinen mag.

 

Dr. Martin Beyer, der es nicht erst mit seinem letzten Roman „Und ich war da“ in die Feuilletons großer Zeitschriften und in die Diskussion literarischer Zirkel und Kreise geschafft hat, präsentiert diese Frage von Beginn an auch aus seiner persönlichen Sicht und lässt die Zuhörer in der jeweils 90-minütigen Veranstaltung von Anfang bis zum Ende an seiner persönlichen Auseinandersetzung mit der Fragestellung teilhaben.

 

Während er selbst als Schüler noch naiv auf diese Frage seines Geschichtslehrers reagiert habe, habe spätestens die Recherche zu seinem neuen Roman, die angestoßen wurde durch die eher zufällige Auseinandersetzung mit dem letzten Scharfrichter Deutschlands, Johann Reichhart, dazu geführt, sich der Frage nach dem „Warum“ anzunähern. Johann Reichhart war es, der auch die Hinrichtung der bekannten Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“ um die Geschwister Scholl in der NS-Zeit durchführte. Ausgehend von dem Protokoll der Hinrichtung entstand die fiktionale Figur des August Untersehers, eines Gehilfen Reichharts, dessen Werdegang in der NS-Zeit Martin Beyer in seinem Roman darlegt. Am Ende dessen Lebens reflektiert dieser Protagonist: Weshalb hat er die NS-Zeit überlebt? Weshalb wurde er zum Täter, während andere für ihre Ideale gestorben sind?

 

In den folgenden 45 Minuten zeichnet Beyer den Werdegang des August Untersehers eindrucksvoll anhand ausgewählter Romanausschnitte nach. Mit kraftvoller Stimme lässt er die triste Welt des Protagonisten entstehen, zieht Zuhörerinnen und Zuhörer nicht nur mit der gekonnten, flüssigen und abwechslungsreichen Intonation in den Bann, sondern sicherlich auch durch die bild- und wortgewaltige Sprache, die er für das Leben und die Begegnungen, die Alfons Unterseher prägen, findet. Die Alltagstristesse des Bauernjungen wird dabei ebenso vermittelt wie der Zauber der Begegnungen, die Menschen prägen können, und deren Wirkung sich der junge Mann – selbstbestimmt? – doch immer wieder entzieht. Wird er deswegen zum Mitläufer, weil der Mut für die „richtigen“ Entscheidungen fehlt?

 

Martin Beyer vermag mit seinem Roman am Ende diese Frage sicherlich nicht zu beantworten – aber die Fragen, die er mit seinem Roman und seiner Lesung daraus zu stellen vermag, finden große Resonanz, wie die anschließende Diskussion mit den Schülerinnen und Schülern zeigt. Unzählige Fragen zu Inhalt und Historie werden ebenso gestellt, wie zur literarischen Diskussion des Romans bei der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises in Klagenfurt. Das Publikum mag Martin Beyer nach diesem beeindruckenden Einblick sowohl in die Entstehung des Romans als auch in den Roman selbst fast nicht gehen lassen. Der Schulgong ist es, der die vielen Fragen und Überlegungen zuletzt zum Ende führen muss.

 

Zurück bleibt die Erkenntnis, dass das von Beyer präsentierte Thema durchaus noch in den Bann zu ziehen vermag, wie der Rezensent Tomasz Kurianowics bereits im Feuilleton der Zeit treffend feststellte: Martin Beyer „schleudert jetzt einen Text in die Welt, der voller Sprengkraft ist und nebenbei beweist, warum das literarische Nachdenken über die NS-Zeit kein Fünkchen an Relevanz verloren hat. Man muss nur die richtige Form finden.“

 

Dass dies gelungen ist, davon konnten sich alle Zuhörer überzeugen. Danke, lieber Martin Beyer, für dieses spannende und tiefgründige literarische Nachdenken!

 

Bericht und Fotos: A. Kießling