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„Der König verlässt sich auf die Dummheit seines Volkes!“

k Plakat Unterstufe

PROGRAMMHEFT

Im Drama „Antigone“ nach Sophokles wird das Mythos um eine der Töchter von Ödipus als Tragödie wohl 442 v. Chr. erstmals in Athen auf die Bühne gebracht. Der Stoff inspiriert seitdem immer wieder Schriftsteller:innen, sich mit der faszinierenden Frauenfigur auseinanderzusetzen. Theresa Sperling bietet mit „Antigones Traum“ eine tolle Möglichkeit, eine über 2000 Jahre alte Legende so zu interpretieren, dass sie auch für Jugendliche in unserer Zeit sehr gut greifbar ist, erschreckende Bezüge zur Gegenwart aufweist und zum Denken über politisches, moralisches und soziales Handeln anregt. In der Inszenierung von Anja Kießling überzeugt die Theatertruppe des P-Seminars der 11. Jahrgangsstufe über allen Maßen, so dass für die Zuschauer:innen ein beeindruckender Theaterbesuch möglich wurde.

Die Handlung spielt in mythischer Vorzeit im Stadtstaat Theben in Griechenland. Allerdings geht es in der modernisierten Form der Textvorlage weniger um einen Konflikt mit den Göttern, sondern vielmehr um den Kampf für die individuelle Freiheit, aber auch über das Reflektieren über Gesetze, Traditionen, Gewaltherrschaft und das Handeln von autoritären Despoten, die es leider gerade heutzutage in unserer Welt zuhauf gibt.

Polyneikes, eindrucksvoll auf die Bühne gebracht von Hannes Nordmann, beschimpft seinen Bruder als Schwein, hatte dieser ihn doch zunächst aus der Stadt vertrieben, um ihn dann als „Verräter“, der gegen seine eigene Heimat Theben Krieg führte, zu ermorden. Diesen widerwertigen, hochnäsigen, machtgeilen Charakter Eteokles verkörpert Ruta Bauernschmitt erschreckend authentisch, so dass man förmlich spürt, wie Eteokles Blut geleckt hat – am Streben nach Macht. Der Tote und der Mörder sind Brüder von Antigone und der jüngeren Schwester Ismene. Am Hof von Theben entspinnt sich nun ein Trauerspiel, ein Kampf um Macht, gefüttert von Ich-Bezogenheit und Rechthaberei, (falsch verstandener) Solidarität und Angst. Kreon, König von Theben, verbietet die Bestattung des vor den Toren der Stadt verwesenden Polyneikes – ein Tabubruch, ein Bruch der Traditionen, eine eklige Darstellung der eigenen Macht. Maximilian Müller begeistert das Publikum durch seine Präsenz, seine gewaltige Stimme, seine Darstellung eines trumpschen Despoten mit putinschen Alleinmachtphantasien. Er lässt nur um seine Helden trauern, nicht aber um vermeintliche Feinde, so dass er droht: „Wer trauert, stirbt!“

Antigone, sie soll eigentlich den Sohn des Autokraten, Hämon, heiraten, will den Befehlen des Herrschers nicht folgen, sondern ihrem Herzen, den Traditionen und dem Respekt vor Verstorbenen. Die Titelfigur wird von Sarah Budagjan und Josephine Zsigmond mehr als gekonnt auf die Bretter, welche die Welt bedeuten, gebracht. Traumsequenzen, welche unter anderem die Erinnerung an die Kindheit zum Ausdruck bringen, werden nicht nur mit professionell gestalteten Videosequenzen (hier zeichnen Hannes Nordmann, Andreas Radatz und Tim Zeume verantwortlich) untermalt, sondern auch mit Hilfe von einfühlsamem, ästhetisch ansprechendem Ausdruckstanz im Sinne von Pina Bausch von den beiden Schauspielerinnen äußerst eindrucksvoll interpretiert. So entsteht das Bild einer nachdenklichen, im Inneren zerrissenen Frau, die um Würde, Ehrlichkeit, Frieden und Identität kämpft.

Sie will den Bruder beerdigen, wenigstens mit Staub bedecken, damit er nicht den Geiern zum Fraß vorgeworfen bleibt. Bewacht wird der Leichnam von zwei Wächtern, die – wohl auch gemäß der griechischen Komödie – der traurigen und bewegenden Handlung eine Brise Humor hinzufügen. Tim Zeume und Andreas Radatz ergänzen sich in ihren Rollen vortrefflich, geben gekonnt den Tollpatsch und den Naivling. Ihnen gelingt es nicht, Antigone von ihrem Handeln abzubringen, sie wollen für ihr Versagen aber auch nicht bestraft werden. Letztendlich müssen sie die Täterin vor den Thron des Königs bringen, der diese zur Strafe töten lassen will. Hämon, der Verlobte unserer Heldin, aber auch Sohn des blutgierigen Herrschers, wird von Charlotte Guhl sehr präzise, die inneren Gewissens- und Treuekämpfe des Protagonisten sehr genau aufzeigend und alle Nuancen der Figur genau charakterisierend realisiert. Ismene, die jüngste Schwester der zerstörten Familie, hält trotz der Verschiedenheit der beiden starken Frauen zur dem Tod geweihten Antigone und bezichtigt sich selbst der Mittäterschaft an der verbotenen Bestattung. Drei Darstellerinnen (Anna Lou Winkler, Sophia Laier und Aminata Sow) verkörpern Ismene auf beklemmende und durchdringende Art und Weise. Poesie und Zartheit der Sprache dieser weiblichen Hauptrollen stehen im Gegensatz zur grausamen und martialischen Handlung der griechischen Tragödie. Hämon bittet seinen Vater darum, die beiden Schwestern nicht umbringen, sondern deren „Leben“ bei Wasser und Brot in einem Kerker fristen zu lassen. Ob das die bessere Lösung ist, sei dahingestellt. Sophia Löffelhölz von Colberg spielt Eurydike, die Ehefrau des Kreon zurückhaltend, lange Phasen nicht aufbegehrend, still dem Mann gehorchend, aber diesen dann doch mit klaren Worten – „Einen Toten zu bestrafen, ist doch lächerlich“ – ermahnend, von seinen bestialischen Zielen Abstand zu nehmen. ER lässt sich nicht beirren, fühlt sich immer noch alleine im Recht, so dass Hämon die Flucht ergreift, der schlussendlich auch des Vaters Handeln nicht mehr mittragen will. Antigone wählt den Freitod. Niemandem ist geholfen. Eine schon zerstörte Familie wird vollends vernichtet.

Eine dichte, ergreifende, zum Nachdenken anregende Inszenierung geht zu Ende. Wieder einmal durfte man am E.T.A. Hoffmann-Gymnasium einen wunderbaren Theaterabend auf hohem Niveau erleben. Neben den herausragenden Schauspieler:innen, die von einem wie immer sehr zuverlässigen und kreativen Technik-Team (Sebastian Losgar, Noah Kießling, Noam Herzog, Hannes Pieger, Anne Homuth, Carla Miribung und Frieda Stoebel) bei der Licht- und Toneinrichtung hervorragend unterstützt wurden, agierten noch Larissa Baumgartl in der Maske und Juliane Deller bei der Kostümausstattung und der Requisite.

Theater in der Schule ist mehr als Spielerei. Zumindest am E.T.A. Hoffmann-Gymnasium darf man immer wieder die hohe Kunst des Schauspiels in jugendlicher Perfektion erleben. Der Rezensent dankt dafür und freut sich auf die nächste Aufführung.

Wolfgang Metzner